INNERE RUHE

Ein mögliches Szenario:
Es ist Sonntag Morgen und ein freier Tag liegt vor mir. Unsere Katze schläft neben meinem Laptop auf dem Tisch zu einem Fellknäul zusammengerollt und draußen im Garten wärmt die frühe Morgensonne die winterliche Kälte. Mögliche Projekte für diesen Tag beschäftigen mich und Gedanken an die letzte Woche wandern im Hintergrund durch meinen Kopf. Das Frühstück ist bereitet und draußen vergreift sich schon ein Vögelchen frühlingshaft im Ton.

Was für ein kostbarer Moment! Oft schon gab es solche Morgende in meinem Leben und nach einiger Zeit verebbten Stille und Frieden in irgendeiner Art von Geschäftigkeit. Noch genieße ich die Offenheit und die Frische des Tages, aber bald wird mein Geist an irgendetwas Interesse finden und mich in einer Folge von Gedankenketten und scheinbaren Notwendigkeiten davontragen. Vielleicht erhasche ich dann inmitten der rasanten Reise des Tages noch einmal die Sehnsucht nach der offenen Weite des frühen Morgens, aber es wird wahrscheinlich schwerer sein, mich mit ihr wieder zu verbinden. Ich vermute wir alle kennen solche Erlebnisse.

Der Fluss unseres Bewusstseins
Besonders der Morgen eine so geeignete Zeit, um sich den Luxus zu gönnen, für einige Momente einfach nur zu sein. Wir können einfach dasitzen und Ruhe und Offenheit genießen, beobachten, was wir gerade wahrnehmen und was sonst noch da ist. Gedanken tauchen auf und sind dann auf einmal wieder verschwunden. Sinneseindrücke und Reaktionen begleiten die Szenarien und unweigerlich erscheinen auch Sorgen und Hoffnung. All dies geschieht im normalen Fluss unseres Bewusstseins. Vielleicht sind wir noch etwas müde oder in einem Bereich zwischen Schlaf und Wachsein. Unser Geist ist relativ ausgeruht und wahrscheinlich langsamer und offener als normalerweise während unserer Tage.

Einfach nur zu sein ist nicht unbedingt einfach.

Unsere Gewohnheit ist, unser Bewusstsein kontinuierlich zu benutzen oder im halb-bewussten Zustand im Hintergrund agieren zulassen. Dort bewegen sich die Dinge, die sich in unserem Geist gewöhnlich aufhalten. In einem Momenten von Offenheit und Frische können wir leichter einen Moment lang lediglich beobachten, was sich in uns abspielt. Dabei können sich kleine Pausen ergeben, in denen wir einfach nur sind. Sie sind ebenso plötzlich vorbei, wie sie gekommen waren, wenn wir sie bemerken. Dieser Prozess ist Ausdruck des normalen Fuktionierens unseres Geistes, und ihn lediglich zu beobachten beruhigt unser ganzes Wesen.

Ein paar kleine Angebote zum Experimentieren
Da dieses Beobachten nicht einfach ist, möchte ich einige Experimente vorschlagen:

1. Zunächst können wir einfach nur innehalten genau so und wie wir gerade sind. Wir befinden uns irgendwo in irgendeiner Haltung und lesen diese Worte. Wir können wahrnehmen, was gerade ist. Verschiedene Antworten kommen hervor, welche von ihnen ist am ‚lautesten‘? Vielleicht ist es ein Schmerz irgendwo im Körper, unsere Sorgen oder ein schöner Gedanke in Verbindung mit diesem Tag. Wir bemerken möglicher Weise, dass unsere Haltung nicht sehr angenehm ist, dass wir ein Geräusch oder eine Musik wahrnehmen und der Duft von Café in der Luft liegt. Wahrscheinlich springt unsere Wahrnehmung sogar zwischen den verschiedenen Eindrücken und deren Bewertung umher. Hier geht es lediglich darum, all dies wie ein Schauspiel für einige Momente oder gar Minuten zu beobachten.

2. In einem weiteren Versuch können wir etwas essen oder trinken. Wir beobachten so genau wie möglich, was wir tun und was wir wahrnehmen. Zunächst ist da die Vorbereitung, dann der Anblick, vielleicht ein Geruch, oder etwas Vorfreude. Anschließend beginnen wir sehr langsam und Moment für Moment genau beobachtet, zu essen oder zu trinken. Vieles geschieht nun auf einmal: Bewegung, Wahrnehmungen von Berührung, Geschmack, Genuss, Erinnerungen, Innehalten, Wahrnehmen, Gedanken über das Tun und Erleben, vielleicht Bewertung, mehr Bewegung, Wahrnehmungen und Gedanken. Es ist ein andauernder Fluß.

3. Als letzten Versuch können wir uns nun in entspannter, angenehmer und aufrechter Haltung für einige Momente hinsetzen und mit geschlossenen Augen unseren Atmen beobachten. Wir nehmen unseren Körper wahr, spüren die Bewegung, fühlen die Luft an unserer Nase ein und ausströmen, unsere Lunge und unseren Bauch, wie sie sich weiten. Unsere Atmung hat einen Rhythmus und eine Tiefe, die sich möglicherweise wandeln. Beobachten wir unsere Atmung eine Weile bemerken wir vielleicht, dass wir öfter von dieser Wahrnehmung abschweifen. Das ist Teil der natürlichen Funktionsweise unseres Geistes. Er wandert und wir können es bemerken und ihm helfen, wieder zum Atem zurück zu kommen. Nach einigen Minuten nehmen wir wahrscheinlich mehr Details wahr und sind etwas ruhiger und entspannter als zu Beginn des Experimentes.

Beginnen wir unsere Tage gelegentlich mit so einer kleinen Übung, fällt es uns mit der Zeit leichter, auch während des Tages ähnliche kleine Minipausen einzulegen. Wir können uns gönnen, nach dem Essen in Ruhe einen Moment zu bleiben und vielleicht unseren Tee oder Café zu trinken. Dabei mögen wir in ähnlicher Weise unseren Körper und Geist beobachten. Ebenso bieten sich die kleinen Pausen an roten Ampeln, das Sitzen in einem Bus, das Warten auf jemanden oder in irgendeiner Schlange an.

Entscheidend ist wahrzunehmen, ‚was‘ ist und wahrzunehmen, ‚wie‘ unser Bewusstsein wandert.

Wir sind es so sehr gewohnt unseren Geist zu benutzen, dass es ungewohnt sein kann, ihn und seine Bewegungen lediglich zu beobachten. Mit der Unterstützung eines Objektes zum fokussieren, wie zum Beispiel dem eigenen Atem oder einem statischen Objekt, ist es einfacher zu bemerken, wenn wir den Bewegungen unseres Bewusstseins wieder gefolgt sind. Dann können wir einfach zu unserem ursprünglichen Objekt zurückkehren und interessiert beobachten, was als nächstes geschieht.

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