Haben wir einen inneren Ort, an dem wir Frieden und Wohlbefinden, Liebe und Mitgefühl, Ruhe und Freundlichkeit spüren? Dies kann unsere innere Zuflucht sein in Zeiten von viel Unruhe und Herausforderungen. Ein solcher innerer Raum, in dem wir auftanken und zu dem wir uns zurückziehen können, um später erneut klar und energetisch hinaus in die Welt zu gehen, kann unsere kostbarste Resource sein.
Innere Ressource
Wie schon unsere täglichen Momente und Wege, so sind auch unsere Gefühle und Gedanken allgegenwärtige Begleiter für uns. Wir bewegen uns kontinuierlich in diesem Spannungsfeld. Haben wir in uns einen Raum, in dem wir Frieden, Mitgefühl und Ruhe finden können, stehen wir in Verbindung mit einem starken inneren Halt. Solange wir diesen Ort in uns nicht gefunden haben, neigen wir bewußt oder unbewusst dazu, eine solche Ressource in unserer Umwelt zu suchen.
Viele Methoden, die ich bisher in den Posts dieses Blogs vorgestellt habe, erlauben uns einen solchen inneren Zufluchtsort zu finden. Die letzten vier Beiträge haben unterschiedliche Herangehensweisen beschrieben, die uns erlauben können, in unserer Wahrnehmung und in unserem täglichen Leben Aufmerksamkeit, Raum und Zeit hierfür zu schaffen.
Unsere Gefühle
Oft wachen wir schon mit einem bestimmten Gefühl auf. Einige Tage sind leichter und heiterer, andere irgendwie belastet und schwer. Dann erleben wir verschiedene Situationen, Begegnungen, Erfolge und Misserfolge während des Tages und haben entsprechende emotionalen Reaktionen und Gedanken dazu.
An positive gefärbten Tagen mit angenehmen Erlebnissen sind diese Reaktionen anders als an Tagen, in denen wir es schwerer haben. Entsprechend unserer eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen erfahren wir die Reaktionen unserer Mitmenschen und oft auch entsprechende Situationen. Wir alle kennen andere Menschen, die Schwierigkeiten scheinbar leichter nehmen als wir und wir mögen uns fragen, wie sie dies tun.
Zweifel und Scham
Versuchen wir unsere wahren Gefühle zu verbergen, erleben wir wiederum andere Schwierigkeiten. Wir bekommen physische Symptome, fühlen uns unwohl und sind unzufrieden. Ein dominanter Faktor in westlichen Kulturen ist das Gefühl von Scham und Minderwertigkeit. Wir alle kennen das Gefühl, dass wir bestimmte Zustände und Reaktionen nicht haben sollten und die Angst unangenehm aufzufallen und uns zu blamieren. Im Kern dieser Unsicherheiten und Selbstzweifel ist das Gefühl, dass mit uns etwas nicht stimmt.
Freundlichkeit uns selbst gegenüber
Oft fällt es uns nicht leicht, diesen Aspekten ganz normaler Menschlichkeit mit Sanftheit und Verständnis zu begegnen. Ein Mangel an Selbstwertgefühl geht oft mit einer Tendenz zu Scham, Selbsthass und einer Tendenz zu Selbstbeschuldigungen einher. Solche Selbstgespräche sind uns nicht immer bewußt.
Vom Standpunkt des oben beschriebenen inneren Raumes, in dem wir mit freundlicher Aufmerksamkeit und wirklicher Offenheit beobachten, was geschieht, können wir diesen komplizierten Tumult anerkennen und bereit sein, wahrzunehmen, was dort eigentlich vor sich geht.
Eine Alternative
Wie sieht unser Gefühlsleben von einem Blickwinkel aus, der weder in es verwickelt ist, noch es zu vermeiden sucht? Wenn wir beginnen, mit Mitgefühl und Freundlichkeit unsere eigenen oder auch die Schwierigkeiten anderer anzusehen, dann nehmen wir Kontakt zu Ressourcen auf, die schon immer in uns geschlummert haben. Auch ist es oft einfacher einem anderen verständnis- und liebevoll in Schwierigkeiten beizustehen, als uns selbst.
Sehen wir unsere momentane Schwierigkeit und auch unsere gewöhnlichen Reaktionen dazu, können wir für einen Augenblick bei dieser offenen Wahrnehmung bleiben, ohne in Beurteilungen und weitere Gedanken dazu zu geraten. Eine solche nicht wertende Aufmerksamkeit kann uns helfen diesen Raum an dem wir Frieden und Freundlichkeit finden können, zu finden.
Gefühle sind natürlicherweise unbeständig
Wir haben ganz gewöhnlich alle möglichen Gefühle und Gedanken. Sie kommen und gehen und die meisten wiederholen sich recht bald wieder. Sie bleiben nur, wenn wir sie mit weiteren Reaktionen halten. Beobachten wir sie lediglich, verändern sie sich, denn von Natur aus haben sie keine Beständigkeit. Andererseits kann aus einem kleinen, leisen Gefühl schnell ein lautes, dramatisches Chaos werden, wenn wir einige, kraftvolle Gedanken und Reaktionen hinzufügen. Wir alle haben unsere Empfindlichkeiten und riskante Themen. Gießen wir Öl in ein solches Feuer, haben wir schnell ein Inferno. Manchmal können wir zusehen, wie solche unguten Dynamiken in uns und anderen ihren Gang nehmen.
Wenn wir sehen, wie einige gewaltige Gedanken unsere destruktiven emotionalen Erfahrungen heraufbeschwören, verstehen wir, wie wir selbst an der Entstehung unserer eigenen Reaktionen beteiligt sind.
Keine Lösung aber eine heilende Herangehensweise
Wie würde ‚Freundlichkeit‘ diese Geschichten und Zusammenhänge sehen? Was ‚fühlen‘ Mitgefühl und Freundlichkeit angesichts unseres Gefühls von Minderwertigkeit und Selbsthass? Lehnen sie es ab, negieren sie es oder bewegen sie sich darauf zu?
In der nicht wertenden Offenheit unserer eigenen Freundlichkeit können wir lernen, uns zu vergeben und dies wirkt sich heilend auf unsere Minderwertigkeit aus. Wir können uns vergeben, Minderwertigkeit und Selbsthass zu fühlen und wir können dies nur dann, wenn wir uns erlauben, Sanftheit, Freundlichkeit, Mitgefühl und Liebe für uns selbst zu empfinden.
Bewusstheit
Vergebung kommt, wenn wir sehen, dass wir nicht wirklich wissen, was wir da eigentlich tun. Mit der hier beschriebenen Bewusstwerdung dagegen können wir bemerken, was wir tun und neue, heilsamere Wege finden. Welchen Weg möchte ich wählen: Möchte ich reaktiv und aufgebracht sein oder möchte ich mehr Mitgefühl und Freundlichkeit finden? Möchte ich von einem Geist aus operieren, der in verschiedenen Konflikten steckt oder von einem Geist, der eine gewisse Stabilität besitzt? Selbsthass und das Gefühl wertlos zu sein, sind unfreundliche innere Haltungen, die uns selbst und unsere eigene Erfahrung nicht verstehen. Manchmal genügt es schon genauer zu sehen, was in uns geschieht, um eine sanftere, verständnisvolle Herangehensweise zu finden.
Unsere Menschlichkeit
Wir alle haben Gefühle von Ablehnung und Zuneigung, Neid und Verlangen, Unzufriedenheit und Glück. Und da sind noch so viel mehr. Dennoch, die Haltungen mit der wir unseren Gefühlen begegnen bestimmen, welchen Einfluss diese in unserem Bewusstsein und in unserem Leben haben können. Und wir können bewußt diese Haltungen üben.
Finden und etablieren wir einen Ort in uns, an dem wir Frieden und Wohlbefinden, Liebe und Mitgefühl, Ruhe und Freundlichkeit spüren und bewußt kultivieren, dann kann dies unsere innere Zuflucht sein in Zeiten von Unruhe und Herausforderungen. Ebenso wie die Vielfalt unserer Gefühle, sind dies Qualitäten unserer Menschlichkeit. Wie so vieles beginnt eine solche Entwicklung mit einem bewussten Focus.
„The more you accept your humanity, when you bring that fragile human into your heart just the way it is, it doesn’t define you or confine you. Then the human part of you can begin to unlock capacities it didn’t know it had.“ – Adyashanti
„Je mehr Du Deine Menschlichkeit akzeptierst, wenn Du den empfindlichen Menschen, genauso wie er ist, in Dein Herz bringst, dann bestimmt und begrenzt Dich das nicht. Dann kann der menschliche Teil von Dir beginnen, die Kapazitäten zu entfalten, von denen Du keine Ahnung hast, dass Du sie besitzt.“ – sinngemäß übersetzt nach Adyashanti